AM SONNENPLATZ
mit Sabine Kampmüller


Sabine Kampmüller gründete 2017 den Verein AFYA – für interkulturelle Gesundheitsförderung mit Sitz in Wien und ist seither dessen Geschäftsführerin. Während ihrer vielen Jahre bei Ärzte ohne Grenzen sammelte sie Eindrücke und Erfahrungen ohne Ende. Mit diesen im Gepäck, leitet sie nun ihre eigene NGO.

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Sabine kommt mit leicht gräulichen Fingern zu unserem Treffen angeradelt „Du, ich muss noch schnell die Hände waschen, ich hatte eine kleine Fahrradpanne.“ Wenige Minuten später setzt sie sich an den Tisch, bestellt Schwarztee und schaut mich mit ihren strahlenden Augen erwartungsvoll an. Mit dem gleichen Blick im Gesicht saß sie mir auch vor drei Jahren gegenüber, als ich ihr in einem Meetingraum des Wiener Impact Hubs meine Dienste anbot. Sabine hatte damals mit zwei Kolleg*innen eben einen Schreibtisch in dem Co-Working-Space bezogen. AFYA – der Verein für interkulturelle Gesundheitsförderung existierte seit wenigen Monaten nicht mehr nur in ihrem Kopf, er hatte eine Anschrift und er führte erste Projekte an Wiener Schulen durch. Kinder mit Fluchterfahrung bekamen in Workshops Strategien zur Traumabewältigung vermittelt. – Eine Arbeit, die der Verein bis heute fortsetzt und die sich aber nicht mehr nur auf eine junge Zielgruppe beschränkt: Im Programm finden sich auch Gesundheitskreise für Erwachsene, Elternschulungen und Workshops für Pädagog*innen. „Wir fördern die psychische Gesundheit von Menschen mit Flucht und Migrationserfahrung und machen das niederschwellig und kultursensibel. Die Arbeit in den Muttersprachen ist dabei ganz zentral“, fasst Sabine zusammen.

Ein Lebensweg, der nicht am Reißbrett entstand

Viele Male haben Sabine und ich uns in den vergangenen Jahren getroffen, aber uns meistens über unmittelbar anstehende Projekte, To-Do’s, Pläne und Strategien für die Zukunft AFYA’s ausgetauscht. Heute erfahre ich zum ersten Mal mehr über Sabines lange Jahre bei Ärzte ohne Grenzen. „Ich habe in Linz eine Ausbildung zur Kinderkrankenpflege gemacht und hatte aber schon länger den Traum, im Ausland zu arbeiten“, sagt sie. Mit 24 Jahren startete Sabine schließlich ihren ersten Einsatz für Ärzte ohne Grenzen in Kenia. Die nächsten 5 Jahre verbrachte sie als Krankenschwester und Projektkoordinatorin in Kenia, im Südsudan, Bergkarabach und in Uganda und schloss parallel dazu ein Masterstudium für „International Health“ ab. Nach Jahren im Ausland kehrte Sabine nach Wien in die Einsatzzentrale zurück und war für Personalentsendungen zuständig. Bis sie begann, Evaluation Units für die internationale Organisation aufzubauen. Diese Evaluierungen fanden vor allem nach großen Einsätzen zB in Haiti nach dem katastrophalen Erdbeben und der danach grassierenden Cholera oder nach dem Ebola-Ausbruch in Westafrika statt und brachten Sabine erneut häufig ins Ausland. Von all diesen Einsätzen hat sich die 48-Jährige einen Satz mitgenommen, der ihr Tun bis heute prägt:

 

 „If we had known that what we did is impossible, we wouldn’t have succeeded.” 

 
 

2016 kam Sabine von einem längeren Arbeitsaufenthalt aus Schweden zurück und war betroffen von dem großen Bedarf an Traumabewältigung für geflüchtete Menschen.  „Am Anfang hab ich gehofft, dass eine bestehende Organisation mich mit meinen Lösungsvorschlägen übernimmt“, lacht sie. Aber relativ bald war klar, dass es für neue Ideen auch eigene Strukturen braucht und so gründete Sabine mit ihren Kamerad*innen (das Wort Mitstreiterinnen mag sie nicht) kurzerhand eine eigene NGO: AFYA. Sabine gibt ehrlich zu, dass sie der administrative Aufwand eingangs eher davon abhielt, ohne große Organisation im Rücken zu starten. Aber sie schöpfte Kraft aus dem Austausch und Miteinander-Wirken mit ihren frühen Wegbegleiter*innen bei AFYA und der Freude daran, dass viele Menschen ihre eigenen Ideen einbrachten. Dass sie es bis heute schafft, bei mittlerweile neun Mitarbeiter*innen allen Raum zu geben und niemandem ihre Vorstellung aufzuzwingen, obwohl AFYA ja so etwas wie ihr „Baby“ ist, das hat mich immer schon an Sabine beeindruckt. Ihre Grundeinstellung fasst sie so zusammen: „Ich habe eine klare Vision, aber ich hänge mich nicht im Detail daran auf, wie etwas passieren muss!“ 

Dazu gehört für Sabine auch eine ausgeprägte Fehlerkultur – „wir wissen ja vorher nicht, was richtig ist“ – und eine große Offenheit im Team. Da darf auch Unbehagen gewissen Themen/Zugängen gegenüber offen angesprochen werden. Das hält sie gerade in einem diversen Team, das in einem interkulturellen Umfeld und im Bereich psychische Gesundheit arbeitet, für extrem wichtig:

 

„Wir verbringen viel Zeit damit, an unserem Konsens und Selbstverständnis zu arbeiten und danach zu reflektieren, was hat funktioniert, was kommt raus.“

 
 

Und manchmal bedeutet das auch, sich ehrlich einzugestehen, dass sich die Vision im realen Leben gerade zu etwas Größerem auswächst, als man das ursprünglich geplant hatte. Das klingt im ersten Moment wie ein purer Glücksfall, kann aber für eine junge NGO auch gefährlich werden, wenn sie sich zu vieler Baustellen gleichzeitig annimmt. Sabine empfindet dabei ihren Vorstand als perfektes Korrektiv. Die fragen dann: „Wie schnell sind wir unterwegs und wo gehen wir Risiken ein?“

 

„In dem Moment als AFYA schneller größer wurde, als geplant, waren wir mit gefühlt 140 km/h auf schlechter Straße unterwegs. Dann hieß es Geschwindigkeit drosseln und Straße befestigen.“

 
 

Heute hat Sabine das Gefühl, mit AFYA in vielen Dingen direkt am Sonnenplatz zu stehen: Sie hat ein insgesamt 9-köpfiges Team aus angestellten und weiteren freien, muttersprachlichen Trainer*innen um sich, deren vielfältige Erfahrungen und Kompetenzen laufend ungeahnte Erkenntnisse und Lösungen bringen. Und auf der anderen Seite befinden sich zahlreiche Klient*innen: Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die sich durch die Arbeit von AFYA nicht mehr nur als Geflüchtete, sondern als Personen mit einer Fülle an Fähigkeiten wahrgenommen fühlen und ihre innere Stärke wiederfinden.

 

„Manchmal merkt man an einer kleinen Bemerkung eines/r Teilnehmers/in, wie groß die Wirkung unserer Arbeit ist.“

 
 

Zum Abschluss habe ich Sabine nach 3 konkreten Tipps gefragt,
wie man seine eigene NGO aufbaut:

1) Verlässliche Verbündete finden
2) Schritt für Schritt gehen und sich nicht alle Herausforderungen im Detail vorher ausmalen
3) Netzwerken, netzwerken, netzwerken

Leseempfehlung von Sabine: 
Tim Jackson: Post Growth. Life after Capitalism. (Polity)

 
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