AM SONNENPLATZ
mit Norbert Trawöger


Bruckners 4. Symphonie hörte er schon mit 8 Jahren tagaus, tagein und fad wird sie ihm bis heute nicht. Wenn er mal erwachsen ist, dann möchte er noch neugieriger sein – auf sich, auf die Welt und die Menschen rundherum. Norbert Trawöger ist Flötenspieler, Künstlerischer Direktor des Bruckner Orchesters, Intendant des Linzer Kepler Salons, Künstlerischer Koordinator des Brucknerjahres 2024, Dozent, Autor, diszipliniert anarchischer Spielraumentdecker und Möglichmacher. Seit einigen Monaten darf ich kreative Sparringspartnerin für diesen vielseitigen Kopf sein.

Norber Trawöger am Sonnenplatz
 

Auf unser Gespräch hat sich jeder von uns beiden anders vorbereitet: Norbert ist mit dem Rad Wald und Wiesen entlanggefahren, um sich ein Bankerl und Ruhe zu suchen. Ich hab den Pyjama gegen normale Kleidung und das Bett gegen die Terrassenbank getauscht. Wir telefonieren, weil Norbert im Urlaub weilt und ich niemanden treffen darf. Anlass: Ich suche Antworten auf diese große Frage: „Wie kehrt man nach dem Urlaub/den Ferien nie mehr zurück zum „Ernst des Lebens“?

 

Einer der auszog, um zu spielen

Norbert liebt und vor allem lebt das Spiel. Nicht nur das Musikalische. Auch das kindlich-sorglose, das anarchische, intuitive, chaotische und vor allem das lustvolle Spiel. „Der Ernst des Lebens - die Arbeit – inkludiert das Spiel normalerweise nicht“, sagt er und genau das widerstrebt ihm massiv:

 

„Ich trete dafür ein, das Spiel in seiner Ernsthaftigkeit ernst zu nehmen. Weil es Möglichkeitsräume schafft.“

 
 

Aber was bedeutet das? Laut Norbert müssten wir ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass man prinzipiell alle Dinge spielerisch angehen kann. Je besser man ein System, seine Abläufe und auch seine Starrheiten kennt und je mehr man sich bewusst Zeit- und Spielräume freischaufelt, desto eher ist es möglich, einen anderen Blick auf die Dinge zu gewinnen und dieselben einengenden Strukturen auf lustvolle und zuvor undenkbare Art und Weise auszuhebeln.

Sogleich räumt Norbert mit einem Vorurteil auf, mit dem er sich häufig konfrontiert sieht, wenn er kontrollierte Regelbrüche einfordert:

 

„Da sagen jetzt viele: „Der will es sich leicht machen!“ -Nein. Ich will es ganz ernsthaft spielerisch machen!“

 
 

Völlig zu Unrecht werde das Spiel mit dem Leichten, Freizeitmäßigen, Nicht-Tiefgehenden gleichgesetzt. Dagegen ist das Spielerische eine tägliche Herausforderung, es erfordert viel Übung (ja, man muss es trainieren wie einen Muskel!), viel Risiko, Mut und nicht zuletzt Disziplin. Norbert gibt ehrlich zu: „Ich arbeite viel - meist gern und manchmal nicht- wie andere eben auch. Aber ich hab Themen, für die ich brenne und an denen bleib ich dran“. Von nix kommt nix - dazu gehört auch die Dringlichkeit, Dinge umzusetzen und sie nicht einfach passieren zu lassen. Der Unterschied liegt für Norbert in der Herangehensweise:

 

„Für mich ist das Spielerische ein Urzustand des Menschseins, warum soll ich den nicht in die Arbeit mitnehmen?”

 
 

In der Arbeit spielen

Im Falle von Norbert bedeutet das, dass er – wo immer möglich – seinem eigenen Rhythmus in der Arbeit folgt und wo dies nicht möglich ist, kämpft er eben darum und auch dafür, sich seine eigenen Räume schaffen zu können. „Dazu muss man sich selbst ganz gut kennen!“, erklärt er. Denn nur dann, wenn man weiß, wie man selbst tickt und was man braucht, könne man Möglichkeitsräume und eigene Talente ausschöpfen.

Den meisten Spielraum sieht er im Kultivieren eines bewertungsfreien Raumes: Nicht immer müsse man sofort alles durch- oder umsetzen, sondern könne eine Idee mal in den Raum werfen und von allen Seiten betrachten und betrachten lassen, ohne Anspruch und Wertung. Im Spielraum zu sein heißt auch, der eigenen Intuition trauen zu lernen und nicht jedes Mal sofort in Aktionismus zu verfallen.

 

Wenn es im Alltag ernst wird

Wenn die Leichtigkeit fehlt, helfe es, nicht auf das Lächeln und den Humor zu vergessen – das sei grundsätzlich für jede Lebenssituation förderlich, egal wie durchwachsen sie sein mag. Hier sieht sich der Tausendsassa mit einer „geschenkten Grunddisposition“ ausgestattet und weiß seine angeborene Frohnatur sehr zu schätzen. Und trotzdem, ab und zu wird sogar bei Norbert der Spielraum eng.

 

„Manchmal helfe ich mir damit, dass ich
5-10 Minuten Flöte spielen gehe. Das ist meine Urmission, da bin ich in meinem Urzustand.“

 
 

Oft reicht es ihm in Stresssituationen aber auch die Räume zu wechseln oder sich kurz zurückzuziehen. Ist er in Linz in der Stadt unterwegs, trägt es ihn an seinen Lieblingsort, den Alten Dom. -Dort wo einst Bruckner als Linzer Domorganist wirkte, nimmt er sich 2-3 Minuten zum Stillwerden. Und während er auf die Brucknerorgel umgebenden Steinwände blickt, wünscht sich Norbert, er hätte ein Abspielgerät, das den seit Jahrhunderten im Gemäuer gespeicherten Klang wiedergeben kann. (Tatsächlich gibt es ernstzunehmende NASA-Forschungen, die belegen, dass Schallereignisse in Gemäuern abgespeichert werden.) Bis es so ein Abspielgerät gibt, schafft sich Norbert im Alten Dom seinen eigenen Möglichkeitsraum, indem er in seinem Kopf jedes Mal eine andere Brucknersche Orgelimprovisation hört.

 

Trotzdem Spielen

Zum Spielen gehört Mut und ständiges Dranbleiben, auch wenn einem Gegenwind entgegenschlägt: „In Systemen manchmal, wenn man Möglichkeitsdenker ist, sind manche froh, wenn man bei gewissen Runden nicht dabei ist“, stellt er nüchtern fest. Aber das gehöre dazu und davon lässt sich Norbert auch nicht abschrecken.

Und auch wenn die Zeiten noch so wild sind, wenn die Welt im Argen liegt und es viele Schwierigkeiten und Herausforderungen gibt, sei dennoch immer Spielraum übrig. Norbert ist überzeugt: Wir alle können immer etwas ändern und selbst wenn wir es nur für uns selbst tun:

 

„Das ist ohnehin die größte Revolution: für sich selbst Dinge zu ändern. Da gibt es gehörigen Spielraum. Ob im beruflichen Alltag, im Umgang mit Menschen, im ökologischen Verhalten.“

 
 

Nun denn, geben wir uns also nicht der puren Verzweiflung all der Katastrophen und Krisen hin, sondern fangen wir an zu spielen!

 

Ich habe Norbert nach 5 Dingen gefragt, die man zum Spielen braucht:

1) Pure Freude, etwas richtig falsch oder ganz falsch richtig zu machen
2) Selbstkenntnis, auch der Selbstvergessenheit wegen
3) Mut, sich gelegentlich auf den Kopf zu stellen
4) Dranbleiben, das ist Disziplin
5) Demut und Dankbarkeit sind heitere Spielgefährtinnen

Buchtipp: Norbert Trawöger, “Spiel”, Verlag Kremayr & Scheriau (2022)

Webseite Norbert Trawöger

Fotocredits: Andrea Trawöger. Das dritte Auge ist das Spielauge, sagt Norbert!

 
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