AM SONNENPLATZ
mit Kajsa Boström
Sie spricht ein halbes Dutzend Sprachen und spielt 8 Instrumente. Sie ist Dirigentin und agiert mitten in einer klassischen Männerdomäne. Seit einigen Jahren verschreibt sich die aufgeweckte Künstlerin auch der Inklusion und dirigiert inklusive Klang- und Theaterkollektive.
Credits: privat
Kajsa Boströms Lebenslauf liest sich wie eine spannende Romanbiografie. Sie ist Urenkelin des schwedischen Nationalkomponisten Ture Rangström und entstammt einer ganzen Generation von Bühnen-Künstler:innen.– Aber nicht ausschließlich, wie ihr wichtig ist, festzuhalten:
„Ich blicke auf Generationen von Schauspielintendanten und Musiker:innen zurück – auf Mamas Seite. Auf der Seite meines Papas finden sich Bauarbeiter, eine Bäckersfrau und Pfarrer.“
Kajsa wuchs – ganz dem Klischee entsprechend – in einem klassisch rot-weißen Haus außerhalb von Uppsala auf. Mit nur 8 Jahren zog sie zu ihren Großeltern nach Stockholm, denn bereits in diesen frühen Kindheitstagen wurde sie ins königliche Opernballett aufgenommen. Hier kam sie erstmals mit einem Symphonieorchester in Berührung und war unmittelbar davon fasziniert.
Die vier Stockholmer-Jahre bei ihren Großeltern prägten sie stark: Kajsas Oma – sie gründete das erste Kinder- und Jugendtheater Stockholms – war ihr großes Vorbild, eine wahre „Powerfrau“, wie sie sagt. Kajsas Opa, der durch eine Alzheimer-Erkrankung zunehmend "verschwand", besaß eine große LP-Sammlung, mit der er seine Enkelin in die klassische Musik einführte. Die Wochenenden verbrachte das Mädchen bei Mama & Papa in Uppsala. Auch dort gab es ein großes Musikzimmer voller Instrumente: Beide Elternteile waren Musiklehrer und liebten Jazz.
Vom Tanz zum Orchesterdirigieren
„Tanz war eine sehr elitäre Ausbildung. Ich hab es nach 4 Jahren an der Stange gelassen. Aber ich habe Disziplin und Körperbewusstsein gelernt, auch wenn die Methoden dort nicht sehr kinderfreundlich waren.“
Wenig wehmütig blickt Kajsa auf ihre Ballettkarriere zurück, lag die größere Leidenschaft doch sowieso in der Musik. Mit 5 Jahren startete sie mit dem Klavierspiel, mit 8 kam die Flöte und mit 12 die Klarinette hinzu. Später erweiterte sie ihr Instrumenten-Repertoire noch um Orgel, Gitarre, Akkordeon und Euphonium.
Mit 12 landete Kajsa jedenfalls in einem Jugendsymphonieorchester, dessen Leiterin ihr schon nach sehr kurzer Zeit die kleinsten Kinder anvertraute.
„Ich war selbst nur 13 oder 14 Jahre alt, als ich das Orchester der Kleinen leiten durfte!“
Nach der Wende war sie eine der ersten Stipendiat:innen, die in einem Austauschprogramm als Orchester-Assistentin nach Tschechien an die Dvorak Oper in Ostrava durfte. „Die Jahre in Tschechien waren sehr streng“, erinnert sie sich:
„In Schweden geht’s viel darum, dass es Freude machen soll. In Tschechien gab es mehr richtig und falsch.“
Mit 21 Jahren kam Kajsa schließlich 1998 für das Studium Orchester-Dirigieren an die Musikuniversität nach Graz.
„Ich liebe den Orchesterklang, das ist mein Hauptinstrument!“
Dirigentin in einer Männerdomäne
Als ich Kajsa die Frage nach ihrer Verortung in einer Männerdomäne frage, lacht sie fast ein bisschen müde. Sie werde das oft gefragt. „Meine männlichen Kollegen bekommen die Frage nie, „wie ist es für dich als Mann diesen Beruf auszuüben? - Sie machen sich nie Gedanken über Geschlecht und Berufswahl“, erklärt sie. Auch wenn sie überzeugt ist, dass sich in den letzten 20 Jahren viel verändert habe und zunehmend mehr Frauen in diese Domäne vordringen, ist sie sich dennoch bewusst:
„Optisch entspreche ich nicht der Norm für Kompetenz. Die Norm für Kompetenz ist ein großer Mann.“
„Mit 25 wollte ich kämpfen, aber ich werde nicht überall herumschlagen und kämpfen gegen die Männer“, ist sie heute überzeugt. Alle ihre wichtigsten Mentoren und Lehrer waren auch Männer. Für sie persönlich gehe es um gute Musik, nicht um das Geschlecht. 20 Jahre professionelle Orchester- & Opernhaus-Erfahrung verschaffen ihr heute letztlich auch ein anderes Standing.
Dirigentin von inklusiven Orchestern
Als Kajsa vor 5 Jahren die Anfrage bekam, ob sie nicht ein inklusives Musiktheater im ländlichen Raum Oberösterreichs (ein EU-Pilotprojekt) gründen und leiten wolle, hatte sie erstmal eine ganze Kette ABERs vor Augen. Bis dahin hatte sie Orchester – und Theaterprojekte von Costa Rica bis Schweden gegründet, die bis heute bestehen, aber mit Inklusion hatte sie sich noch nicht beschäftigt.
Von klassischen Berührungsängsten, Selbstzweifeln und auch Unwissenheit über Inklusion war auch sie nicht befreit. „Doch von überall her kam plötzlich Hilfe“, erinnert sie sich. Heute arbeitet sie im gesamten deutschsprachigen Raum mit inklusiven Orchestern und weiß sehr viel besser, worauf es in der Zusammenarbeit ankommt: Es braucht Profimusiker:innen als Säulen, es braucht viel Zeit und viele Pausen, in denen Orchestermitglieder mit und ohne Behinderung miteinander ins Gespräch kommen. Das beeinflusse das Konzertergebnis enorm, wie sie meint, und sie hält stolz das Ergebnis nach den Proben fest:
„Es gibt einen Punkt, an dem wir erkennen, dass wir alle Menschen sind. Was gibt es Spannenderes?“
Kajsa gibt Menschen mit Behinderung den Raum, Vertrauen in ihre Fähigkeiten zu gewinnen und fördert Talente & Stärken. Sie verwendet eine bewusst einfache Sprache, plant und probt langfristig, damit Menschen mit Behinderung die Möglichkeit haben, ihre Stimmen auswendig zu lernen. Sie habe ein sehr gutes Auge für physische Stolperfallen auf Bühnen entwickelt, sagt sie, und achtet darauf, auch genug Rückzugsräume zu schaffen.
„Meine Leidenschaft ist, dafür zu sorgen, dass die Menschen sich trauen was anzubieten. Dass sie sich willkommen und stolz fühlen, was sie können.“
Kajsa, wo bist du zuhause?
„Mittlerweile bin ich in der sechsten Sprache gelandet. Ich dachte immer, dass ich ein neues Instrument lerne, aber nein, es wurde eine Sprache: Japanisch.“
Schwedisch ist Kajsas Muttersprache, Englisch sei in ihrem Heimatland quasi Pflichtsprache und mit 12 Jahren begann sie, Deutsch zu lernen. Später kamen Tschechisch und Spanisch hinzu. Und im heurigen Jahr repräsentierte sie bei der Weltexpo in Japan mit inklusiven Bruckner-Workshops das Land Oberösterreich, weswegen sie nun seit 70 Tagen Japanisch lernt.
Zuhause sei sie dort, wo sie als Brückenbauerin fungieren könne: Über geografische oder Sprachgrenzen, über körperliche Behinderungen hinweg und letztlich auch die Brücke zu sich selbst bauend: Denn zuerst müsse man als Dirigentin mal den Kontakt zu sich selbst herstellen, um das große Ganze zu halten. Den Kontakt zu sich selbst findet sie auch, wenn sie zu ihren eigenen Wurzeln zurückkehrt:
„Es gibt in Schweden eine Insel, wo mein Urgroßvater eine Kompositionsstätte hat. Eine Insel weit draußen in den Schären von Schweden. Da bin ich sehr, sehr gern.“